
Städte sind heutzutage Anziehungspunkte und Schmelztiegel für Menschen mit verschiedenen kulturellen Prägungen, Religionen, Interessen und sozialem Status. Urbane Ballungsräume werden daher nicht nur größer, sondern auch vielfältiger. Weltweit wird diskutiert, welchen Einfluss Migrationsbewegungen und ethnische Vielfalt auf das städtische Gesamtgefüge haben – insbesondere in der Europäischen Union vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Flüchtlingsbewegungen nach und innerhalb Europas. Mit zunehmender Bevölkerungszahl wachsen nicht nur die Heterogenität der Bewohner, sondern auch die sozioökonomische Ungleichheit und die räumliche Trennung der Gesellschaftsgruppen. Mehr als zwei Drittel der weltweiten urbanen Bevölkerung weltweit leben heute in Städten, in denen sich die Einkommensunterschiede in den letzten 30 Jahren erheblich verschärft haben.
Innovative Stadtplanung anstelle herkömmlicher Lösungen
Städte und Gemeinden stehen vor der großen Aufgabe, der wachsenden Vielfalt adäquat zu begegnen und der Ungleichheit entgegenzuwirken. Beide Herausforderungen sind oftmals eng miteinander verbunden. Um den sozialen Zusammenhalt zu erhalten und zu stärken, ist daher ein ganzheitlicher Ansatz unerlässlich. Wie können wir sicherstellen, dass alle Stadtbewohner am urbanen Leben teilhaben und von ihm profitieren können? Was muss getan werden, damit ein Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl entsteht, und damit Bewohner unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft miteinander in Kontakt treten? Wie kann der sozialen und räumlichen Ausgrenzung entgegen gewirkt werden?
Auf der Suche nach Lösungen zu diesen Herausforderungen wird oft zu herkömmlichen Maßnahmen gegriffen; eine restriktivere Einwanderungspolitik, sozialer Wohnungsbau und Reformen der Arbeitsmarktregulierungen. Da die meisten dieser Politiken im urbanen Kontext umgesetzt werden müssen, ist die Rolle der Stadtplanung für den sozialen Zusammenhalt nicht zu unterschätzen. Zwar können Stadtplaner die Ursachen für soziale und ökonomische Probleme nicht vollends beseitigen. Aber sie können zumindest das Ineinandergreifen urbaner Strukturen verbessern und öffentliche Räume für sozialen Austausch planen.
Was Stadtplaner tun können: Vier Lösungen für die Zukunft
Wie der renommierte Autor und Stadtplaner Jan Gehl richtig bemerkt: Wer „Städte für Menschen“ oder „menschenfreundliche“ Städte schaffen will, muss Stadtplanung aus der Perspektive der Menschen denken, das Verhalten der Bewohner in urbanen Räumen genau analysieren und echte Orte der Begegnung schaffen. Erfahrungen aus aller Welt verdichten sich in insgesamt vier besonders erfolgreichen Planungs- und Gestaltungsansätzen, mit denen der soziale Zusammenhalt gesteigert und Begegnungs- und Interaktionsräume geschaffen werden können.
- Flächennutzungsplanung ist ein wichtiges Instrument für ausgewogene Stadtentwicklung. Entscheidend ist, dass nicht nur wirtschaftliche Aspekte, sondern auch Umwelt- und soziale Belange berücksichtigt werden. So sollten stadteigene Flächen und Liegenschaften nicht einfach nur über Auktionen veräußert werden, sondern auch andere Werte wie Gemeinschaftsbildung oder ökologische Nutzen einbeziehen. Auf diese Weise wäre zudem gewährleistet, dass Initiativen und Projekte von Anwohnern (gemeinschaftlich genutzte Gärten zum Beispiel) erhalten bleiben. Demgegenüber lassen sich die tiefgreifenden Folgen von Privatisierungen in Städten weltweit beobachten, denn es verschwinden zunehmend jene Räume, in denen sich neue Formen sozialer Interaktion und Integration entwickeln könnten. Um die noch nicht kommerzialisierten urbanen Räume zu erhalten, muss in der Flächennutzungsplanung daher ein ganzheitlicher und auf Ausgleich ausgerichteter Ansatz verfolgt werden.
- Das Konzept der Transit Oriented Development (TOD) hat sich zu einem populären Raumplanungsansatz für inklusive und vernetzte Gemeinschaften entwickelt. Durch die Gestaltung qualitativ hochwertiger Quartiere, die sich an Fußgänger- und Radfreundlichkeit sowie am einfachen Zugang zu öffentlichem Personenverkehr orientieren, kann TOD die sozioökonomische und kulturelle Durchmischung fördern und ein „urban village“ schaffen, dessen Einrichtungen und Dienstleistungen den Bedürfnissen verschiedener sozialer Gruppen gerecht werden. Darüber hinaus bietet TOD zahlreiche Vorteile für die Umwelt und hilft, die transportbedingte Armut von Anwohnern ohne PKW zu beenden.
- Die Aufwertung von Straßennetzen kann einen großen Einfluss auf die Lebendigkeit und Integrationsfähigkeit eines Quartiers haben. Schließlich sind Straßen nicht nur Transportwege, sondern auch elementare gemeinschaftlich genutzte öffentliche Räume, in denen eine Vielzahl von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aktivitäten möglich wird. Das Beispiel Medellin (Kolumbien) verdeutlicht, wie durch die Umgestaltung von Straßennetzen die Zugänglichkeit von und die Mobilität innerhalb von Stadtteilen aufgewertet und damit die räumliche Ausgrenzung überwunden werden kann – mit dem Ergebnis, dass sich ganze Quartiere regenerieren und wieder in die Gesamtstruktur einer Stadt eingliedern. Solche Ansätze sind besonders erfolgreich in informellen Siedlungsgebieten, die oftmals keine öffentlichen Plätze und Straßen aufweisen.
- Öffentliche Plätze sollten als Begegnungsstätten gestaltet werden, in denen sich die Einwohner auf neutralem Boden treffen und austauschen können. Selbst kleinere Eingriffe wie bequemere Sitzbänke oder die Einrichtung von Fußgängerzonen können große Effekte erzielen. So wirkt sich die Platzierung von Stadtmöbeln darauf aus, wie öffentliche Plätze von den Menschen akzeptiert und genutzt werden, wie lange sie sich dort aufhalten und wie intensiv sie dort mit Fremden in Kontakt treten.
Entscheidend ist, dass die oben genannten planerischen und gestalterischen Maßnahmen weder einmalig noch isoliert voneinander umgesetzt werden. Um dies zu verhindern, müssen stadtplanerische Initiativen in nationale Politiken integriert und mit weiteren Ansätzen in den Bereichen Bildung, Gesundheitsvorsorge, Wohnen und Finanzierung kombiniert werden. Die Stadtplanung kann helfen, diese Politik in den lokalen Kontext zu überführen und sie mit geeigneten Maßnahmen zur Planung und Gestaltung umzusetzen.
Dieser Blogartikel wurde mit freundlicher Genehmigung von Island Press dem Kapitel "The Inclusive City: Urban Planning for Diversity and Social Cohesion" des “State of the World 2016” des Worldwatch Institute entlehnt.