Der Weg in eine neue Plastik-Wirtschaft

Um eine Kreislaufwirtschaft im Plastiksektor zu erreichen, bedarf es der gemeinsamen Anstrengung aller Akteure innerhalb eines gut definierten strategischen Rahmens. Jürgen Hannak (adelphi) zeigte beim World Sustainable Development Summit 2018 neue Wege zu Ressourceneffizienz auf.

07.03.2018

Die weltweite Kunststoffproduktion ist seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts rasant angestiegen. Das Jahr 2014 verzeichnete die bisher höchste Produktion mit rund 311 Millionen Tonnen Kunststoff weltweit – zwanzig Mal so viel wie noch in den 1960er Jahren. Angesichts der Bedeutung von Kunststoff in den Produktions- und Konsumsystemen moderner Gesellschaften wird geschätzt, dass die jährliche weltweite Produktion bis 2050 auf unglaubliche 1,2 Milliarden Tonnen ansteigen wird. Unter Klima- und Rohstoffgesichtspunkten ist dieser Anstieg äußerst bedenklich, da der größte Anteil (geschätzt über 90 Prozent) des sich auf dem Markt befindlichen Kunststoffes aus fossilen Ressourcen produziert wird. Im Jahr 2012 entsprach dies etwa 400 Millionen Tonnen CO2-äquivalentenTreibhausgasemissionen. Wenn sich dieser Trend weiter fortsetzt, wird die Kunststoffproduktion bis 2050 für 20 Prozent des globalen Erdölverbrauchs und 15 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich sein.

Wirtschaft und Ökosystem leiden unter unzureichendem Recycling

Ein wesentlicher Anteil des Plastikmülls entsteht aufgrund des vielseitigen und weit verbreiteten Einsatzes von Kunststoff als Verpackungsmaterial, wovon weltweit nur 14 Prozent recycelt werden. Insgesamt wird geschätzt, dass 95 Prozent des Materialwertes der Wirtschaft nach einer kurzen und einmaligen Nutzung verloren gehen. Die daraus resultierenden jährlichen wirtschaftlichen Einbußen liegen zwischen 80 und 120 Milliarden US Dollar. Doch nicht nur die Wirtschaft, auch das Ökosystem hat unter dem unzureichenden Wiederverwertung zu leiden. Die Verschmutzung durch Plastikabfälle hat sich zu einer schweren Bedrohung für marine Ökosysteme weltweit entwickelt: Wenn wir weitermachen wie bisher, werden in den Meeren weltweit bis 2025 auf eine Tonne Plastik drei Tonnen Fisch kommen – und 2050 wird es in den weltweiten Meeren genauso viel Plastik wie Fische geben. Vor diesem Hintergrund bedarf es gemeinsamer internationaler Anstrengungen, damit die einzelnen Länder ihren Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens und der UN-Agenda für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch nachkommen können.

Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung: Auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden Entsorgung von Plastikabfällen

Unter dem Motto “Partnerships for a Resilient Planet” versammelten sich zwischen dem 15. und 17 Februar fast 9600 Delegierte aus über 41 Ländern auf dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung 2018 in Neu Delhi, Indien. Die Experten tauschten Erfahrungen aus, bildeten Partnerschaften, setzten sich mit neuen Lösungen zur effizienten Ressourcennutzung auseinander, diskutierten und entwickelten Strategien mit dem Ziel, Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz zu beschleunigen. Teil des Gipfels war die Veranstaltung “Towards Resource Efficient Management of Plastic Waste”, die von der Ressourceneffizienzinitiative der EU für Indien (EU-REI) mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und adelphi organisiert wurde. Ein Podium mit europäischen und indischen Experten aus Politik, Forschung, Industrie sowie dem informellen Sektor reflektierte unter Moderation von Dr. Jürgen Hannak, Senior Project Manager bei adelphi, über innovative Konzepte und Ansätze zur Bekämpfung der negativen Auswirkungen von Plastikmüll. Wege zur Vermeidung und Reduzierung der Risiken einer weiteren Zuspitzung der gegenwärtigen Lage wurden diskutiert und Möglichkeiten für nachhaltige Lösungen im Kontext einer Neuen Kunststoffwirtschaft (New Plastic Economy) erörtert.

In Indien beträgt der Kunststoffverbrauch etwa 12,8 Millionen Tonnen pro Jahr. Aufgrund des höchst dynamischen Marktumfeldes in Indien wird erwartet, dass die Produktionsmengen von Kunststoffen mit einer jährlichen Wachstumsrate von 10 Prozent weiter zunehmen werden. Zur Bewältigung der steigenden Mengen an Kunststoffabfällen sowohl in städtischen als auch ländlichen Gebieten hat die indische Regierung im Jahr 2016 neue Regelungen zur Bewirtschaftung von Kunststoffabfällen (Plastic Waste Management Rules) erlassen. Zentrales Element der neuen Gesetzgebung ist das Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung. Demnach sind Hersteller dazu verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Stadtentwicklungsabteilungen der Bundesstaaten Sammelsysteme für Plastikabfälle einzurichten. Hier wurden bereits erste Fortschritte erzielt, doch die weitere Umsetzung erfordert eine internationale Zusammenarbeit, um die lokale Kapazitäten zu verbessern und von internationalen Best Practice-Beispielen zu lernen.

EU entwickelt Vision für eine smarte, innovative und nachhaltige Kunststoffindustrie

In der Europäischen Union wurde der Übergang in eine neue Plastik-Wirtschaft erst kürzlich durch die Veröffentlichung einer neuen europäischen Strategie zur Erreichung einer Kreislaufwirtschaft für Plastik vom 16. Januar 2018 angestoßen. Als Teil dieser Strategie hat die EU eine Vision für eine „smarte, innovative und nachhaltige Kunststoffindustrie“ entwickelt. Eine solche neue Kunststoff-Wirtschaft ist entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts (einschließlich Design, Produktion, Wiederverwendung, Reparatur und Recycling) optimiert und trägt somit dazu bei, Treibhausgasemissionen zu senken und die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Außerdem zielt die Strategie darauf ab, nachhaltige Produktions- und Konsummuster in Bezug auf Kunststoffe bei den europäischen Bürgerinnen und Bürgern, Regierungen und der Industrie zu fördern, indem ein umfassender Katalog an politischen Maßnahmen vorgeschlagen wird. Diese Maßnahmen unterstützen wiederum die Kooperation auf europäischer Ebene sowie international.

Privatsektor als wesentlicher Erfolgsfaktor

Politische Strategien können zwar die Rahmenbedingungen für den Übergang in eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe schaffen, doch die Einbeziehung des Privatsektors ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor, der nicht vernachlässigt werden darf. Erst kürzlich während des Weltwirtschaftsforums in Davos 2018 erklärten sich elf führende Marken, Einzelhändler und Verpackungsunternehmen zum Ziel, bis 2025 zu 100 Prozent wiederverwertbare oder kompostierbare Verpackungen einzuführen. Darüber hinaus gibt es Maßnahmen einzelner Unternehmen wie zum Beispiel Coca-Cola Hindustan Ltd. in Indien, das nicht nur zu einer Reduzierung des Pro-Kopf-Verbrauchs von Plastikmüll beitragen, sondern auch die Sammlung und das Recycling von Plastikabfällen verbessern will.

Ergänzend zu diesen Initiativen spielt ACC Ltd., einer der größten Zementproduzenten Indiens,  eine wichtige Rolle bei der wirksamen Reduzierung der Menge an Kunststoffabfällen. Als Teil ihrer Entsorgungsleistungen (Geocycle) verarbeitet das Unternehmen Kunststoffabfälle in seinen Zementöfen und testet innovative Wege in der Verwendung von Kunststoffabfällen als Nebenprodukte im Bau. Im Jahr 2012 verarbeitete ACC bereits 2500 Tonnen Kunststoffmüll und wird dieses Volumen in naher Zukunft von derzeit 82000 Tonnen auf rund 120000 Tonnen pro Jahr erhöhen. Um Skaleneffekte zu erzielen, ist die Einbeziehung informeller Akteure (wie zum Beispiel die Abfallsammelunternehmer von Kabadiwalla Connect) in die Bewirtschaftung von Kunststoffabfällen zur Erhöhung der Sammelquoten ein wesentliches Erfolgskriterium.

Konsumverhalten muss sich ändern

In diesem Zusammenhang trägt die zunehmende Nutzung von Informationstechnologien dazu bei, die Rolle des informellen Sektors auszubauen. Bei der Erreichung von Ressourceneffizienz und einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe, spielt letztendlich aber auch der einzelne Konsument eine entscheidende Rolle. Nur wenn Verbraucher sensibilisiert und zu einem veränderten Verhalten motiviert werden ohne dass dabei die wirtschaftliche Realität aus dem Auge verloren geht, können die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten aufeinander abgestimmt und stringente strategische Rahmenbedingungen formuliert werden.


Dr. Jürgen Hannak ist Senior Projektmanager bei adelphi und treibt die Themenbereiche Nachhaltigkeitsmanagement und Ressourceneffizienz voran. Er verfügt über 25 Jahre Arbeitserfahrung insbesondere in Süd- und Südostasien.

Das World Sustainable Development Summit (WSDS) ist die jährliche Hauptkonferenz von TERI - The Energy and Resources Institute.